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ERP-Einführung. Agil oder nicht?

13.02.2024

Der Beitrag setzt sich mit den Erfahrungen und den Voraussetzungen von "agilen - oder nicht" ERP-Einführungen auseinander. Im Fokus stehen die Unternehmensarchitektur, die Initialisierungsphase, Scrum und die ERP-Einführung.

Daniel Frei (Autor)

Bei der ERP-Einführung stellt sich die Frage der anzuwendenden Projektmethodik. Was bei Individualentwicklungen schon seit Jahren agil erfolgt, wird bei ERP-Einführungen weiterhin unterschiedlich gehandhabt. In den letzten Jahren haben jedoch agile ERP-Einführungen zugenommen. Über den Erfolg lassen sich unterschiedliche Meinungen und Ansichten finden.

Wir führen regelmässig und mit verschiedenen Anspruchsgruppen konstruktive Debatten und interessante Diskussionen über die Herausforderungen agiler (oder nicht) ERP-Einführungen. Die Bedenken betreffen beispielsweise fehlende Eigenverantwortung, unklare Signale des Managements, ineffektives Kostenmanagement oder ungenau geschätzte Realisierungszeiten. Und oft wird die Diskussion auf die Frage reduziert: "was bekomme ich bis wann für wieviel Geld?".

Ziel dieses Beitrags ist es unter anderem, die Anwendung der agilen Scrum-Methodik für ERP-Einführungen zu analysieren, respektive einen Beitrag zur weiterführenden Diskussion zur Verfügung zu stellen.

Agil und Scrum

Agile und Scrum sind Begriffe aus dem Bereich des Projektmanagements. Die agile Methodik arbeitet mit inkrementellen Arbeitspaketen und iterativen Arbeitsschritten, die auch als "Sprint" bezeichnet werden. Agiles Projektmanagement ist ein Software-Projektmanagement, das ständige Veränderung und Ungewissheit adressiert. Agil ist auch eine Einstellung hin zum Gemeinsamen und Innovativen.

Scrum ist die Art des agilen Ansatzes, der in der Softwareentwicklung verwendet wird. Neben Scrum gibt es noch einige andere Arten von agilen Ansätzen wie Lean, Extreme Programming (XP), Crystal, Feature Driven Entwicklung oder dynamische Systementwicklungsmethode (DSDM). Scrum gilt als agile Methode in der Softwareentwicklung, mit den Merkmalen einer flexiblen Organisation, zeitnahem und interaktivem Feedback, zielorientiertem, flachem Management und effektiver Beteiligung der Mitglieder. Scrum soll die Schwierigkeiten mit traditionellen Methoden lösen.

Das Änderungsmanagement ist ein wichtiges Thema bei ERP-Einführungen. Bei der ERP-Einführung werden Anpassungswünsche und das Änderungsmanagement als eine kritische Herausforderung angesehen. Diese Herausforderungen stehen im Zusammenhang mit dem Grad des Geschäftsprozess-Re-Engineering, der Benutzerakzeptanz oder der Akzeptanz des Managements. Das Änderungsmanagement ist eine Disziplin, die beschreibt, wie sich Organisationen (insbesondere die User) vorbereiten und unterstützen, damit Änderungen akzeptiert werden. Die Bedeutung dieser Veränderungen trägt wesentlich zum Erfolg einer Organisation bei. Obwohl alle Veränderungen einzigartig sind, zeigt die Praxis, dass es Massnahmen gibt, welche den Wandel im Verhalten positiv beeinflussen. Change Management bietet somit einen strukturierten Ansatz zur Unterstützung, um sich aus der Komfortzone in eine anspruchsvollere Zukunft zu bewegen.

Die ERP-Einführung auf der Grundlage des agilen Scrum-Ansatzes (oder in angepassten Formen davon) ist in den letzten Jahren in Mode gekommen. Die ERP-Einführung wird dabei mit jeder Phase des Projekts durch den Scrum-Prozess gebunden und gesteuert. Daraus entstehen folgende Versprechen:

  1. Schneller Informationsaustausch. Jedes Mitglied erhält schnell und gründlich Informationen über den ERP-Einführungsstand.
  2. Ständige Lieferobjekte. Erfolgreiche Fertigstellung des ERP-Systems, schnelles Go-Live mit minimalen Produktfehlern.
  3. Sichtbarkeit des Fortschritts. Durch die Sprint-Planung werden effizient und proaktiv Versionen der ERP-Lösung veröffentlicht und operativ genutzt.
  4. Hochwertiges Wissen darüber, wie Prozesse im Unternehmen aufgebaut sind. Diese Werte entstehen auf natürliche Weise in den Köpfen der Scrum-Teams.

Die Rolle der Unternehmensarchitektur

Die Definition und die Bereitstellung einer Unternehmensarchitektur ist empfohlen, um die Transformation von Unternehmen im digitalen Zeitalter zu erleichtern. Dieser Ansatz berücksichtigt traditionell die Standardisierung von Prozessen und deren Integration, jedoch nicht die kontinuierliche Anpassung an geschäftliche Veränderungen und Technologielandschaften. Sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor liegt das Hauptaugenmerk der Unternehmensarchitektur auf dem Management. Dies liegt daran, dass bei der Bildung der Unternehmensarchitektur kein Produkt, sondern das Papier dazu im Fokus steht. Somit wird dieses Papier zu einer Grundlage für die Umsetzung von Veränderungen. Nun, was hat dies mit der Projektmethodik der ERP-Einführung zu tun?

Die Unternehmensarchitektur beschreibt den Umfang der Geschäftstätigkeit des Unternehmens. Sie unterstützt die Abstimmung strategischer Ziele mit der Informationstechnologie (IT), indem sie die Kohärenz zwischen den verschiedenen Elementen sicherstellt. Die Hauptaktivität besteht darin, die aktuellen Geschäftsprozesse, die aktuellen Daten und die aktuelle Technologie zu untersuchen und zu verstehen. Im Gegensatz zur eigentlichen ERP-Einführung liefert die Unternehmensarchitektur eine Gap-Analyse, um alle Lücken in den aktuellen Geschäftsprozessen zu identifizieren. Dies sollte vor der ERP-Einführung erfolgen.

Der Unternehmensarchitektur bietet eine langfristige Sicht auf die Prozesse, Systeme und Technologien eines Unternehmens und kann als eine Art Zielbild angesehen werden. Dabei stehen folgende vier Elemente im Fokus:

  • Geschäft
  • Daten
  • Anwendungen
  • Technologien

Unternehmensarchitektur, ERP-Initialisierungsphase und Scrum?

Vor dem Start der eigentlichen ERP-Einführung ist die Anwendung des Scrum-Ansatzes eine grosse Herausforderung. Diese vorlaufende Phase liefert wichtige Voraussetzungen für den Erfolg der später folgenden ERP-Einführung. In der heutigen digitalisierten Welt ist die Beschaffung von ERP-Lösungen für Unternehmen von zentraler Bedeutung. Der Erfolg dieser Beschaffung hängt jedoch nicht allein von der Auswahl und Implementierung der Software ab, sondern wird bereits in der Initialisierungsphase determiniert. Die Bedeutung der Initialisierungsphase kann nicht genug oft betont werden. Mit einet sorgfältigen Festlegung des Beschaffungsobjekts wird  der Grundstein für eine erfolgreiche ERP-Einführung gelegt. Dieser Grundstein setzt einiges voraus, unter anderem eben auch die steuerenden Elemente der Unternehmensarchitektur.

Definieren, was mit dem ERP-System erreicht werden soll

Die präzise Definition des Beschaffungsobjekts bildet den Ausgangspunkt jeder erfolgreichen ERP-Beschaffung. Es geht dabei nicht nur um die Erfassung der Anforderungen, sondern auch um die eindeutige Abgrenzung des Leistungsumfangs der zukünftigen ERP-Lösung. Dies ist essenziell, um Missverständnisse zu vermeiden und sicherzustellen, dass die angestrebten Ergebnisse erzielt werden.

Im Rahmen der Festlegung des zukünftigen ERP-Systemumfangs müssen sowohl die gewünschten Leistungen als auch die Abgrenzungen klar definiert werden. Dies umfasst Aspekte wie Funktionalität (welche Funktionen und Module muss die Softwarelösung umfassen?); Leistung (welche Leistungsanforderungen wie beispielweise Performance, Skalierbarkeit müssen erfüllt werden?); Kompatibilität (muss die ERP-Lösung mit vorhandenen Systemen kompatibel sein?); Sicherheit (welche Sicherheitsanforderungen müssen erfüllt werden?); Lizenzierung (welche Lizenzmodelle kommen in Frage?).

Initialisierungsphase

Neben den gerade genannten Aspekten sind in der Initialisierungsphase weitere Punkte zu berücksichtigen: beispielsweise das Testen (Festlegung eines umfassenden Testprozesses, um die Qualität des ERP-Systems sicherzustellen); Schulung (Konzeptionierung von Schulungsmassnahmen für die ERP-User und die ERP-Betriebsorganisation); Dokumentation (Erstellung einer passenden Dokumentation für die Wartung und Nutzung der Software); Projektmethode und -organisation (Auswahl der geeigneten Methode und Organisation für die Durchführung der ERP-Einführung); Betrieb und Wartung (Festlegung der Vorgehensweise für den langfristigen Betrieb und die Wartung des ERP-Systems).

Eine erfolgreiche ERP-Beschaffung geht über den reinen Kauf einer Lösung hinaus und erfordert eine partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen Kunde und Lösungsanbieter. In der Initialisierungsphase ist es daher wichtig, den Grundstein für diese Partnerschaft zu legen. Offene Kommunikation, gegenseitiges Verständnis und gemeinsame Zielsetzungen sind dabei zentrale Erfolgsfaktoren. Abkürzungen zahlen sich leider selten aus.

Die Initialisierungsphase ist der wichtigste Schritt auf dem Weg zu einer erfolgreichen ERP-Einführung. Und diese Phase baut auf der Unternehmensarchitektur auf. Kommen wir zur Kritik an agilen Methoden in dieser Phase der Vorbereitungen auf die ERP-Einführung zurück.

Kritik an agilen Methoden

Mangelnde Planbarkeit und Kontrolle. Agile Methoden sind iterativ und inkrementell, was zu einer geringeren Planbarkeit und Kontrolle des gesamten Prozess führen kann. Die genaue Festlegung des Leistungsumfangs und der Kosten kann im Voraus schwierig sein. Bei unklaren Anforderungen oder unvorhergesehenen Änderungen kann es zu Verzögerungen und Kostenüberschreitungen kommen.

Erhöhtes Risiko von Missverständnissen. Die agile Vorgehensweise erfordert eine intensive Kommunikation zwischen allen Beteiligten. Missverständnisse aufgrund fehlender Dokumentation oder unzureichender Transparenz können zu Konflikten und Verzögerungen führen. Bei komplexen Projekten mit vielen Beteiligten kann die agile Kommunikation eine Herausforderung sein.

Inkompatibilität mit bestehenden Prozessen. Agile Methoden können mit bestehenden Prozessen im Unternehmen in Konflikt stehen, wenn diese auf einer linearen und planbaren Vorgehensweise basieren. Die Integration der agilen Methode in die bestehende Unternehmensarchitektur kann komplex und aufwendig sein. Die Einführung agiler Methoden kann zu Widerstand bei den Mitarbeitern führen, die an die traditionellen Vorgehensweisen gewöhnt sind.

Erforderliche Anpassung der Unternehmenskultur. Agile Methoden erfordern eine offene und flexible Unternehmenskultur, die auf Zusammenarbeit und kontinuierlichem Lernen basiert. Die Einführung agiler Methoden kann eine tiefgreifende Veränderung der Unternehmenskultur bedeuten. Bei einer hierarchischen Unternehmenskultur mit starren Strukturen kann die Einführung agiler Methoden scheitern.

Abhängigkeit von erfahrenen Experten. Der Erfolg agiler Methoden hängt stark von der Erfahrung und Expertise der beteiligten Personen ab. Die Einführung und Anwendung agiler Methoden erfordert ein hohes Mass an Know-how und Erfahrung. Die Suche und Bindung von erfahrenen Experten kann eine Herausforderung sein.

Fazit

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die ERP-Einführung auf der Basis der Unternehmensarchitektur, der ERP-Initialisierungsphase wie auch der ERP-Beschaffung basiert. Ab wann und ob dabei agile Methoden eingesetzt werden, setzt eine vertiefte Auseinandersetzung mit allen in diesem Beitrag erwähnten Aspekten voraus. Die Entscheidung für oder gegen eine agile Vorgehensweise muss daher sorgfältig abgewogen werden. Denn, diese Entscheidung hat Konsequenzen. Beispielweise erfordern agile Methoden flexible Vertragsmodelle, die iterative Entwicklung und Anpassungen berücksichtigen.

Die Vergütung der Leistungserbringer kann auf Basis von Meilensteinen oder geleisteten Aufwänden erfolgen. Lieferanten können Bedenken hinsichtlich der Planbarkeit und des Risikos in agilen Projekten haben. Die Festlegung von Preisen und Lieferterminen kann in agilen Projekten schwieriger sein. Unabhängig der Projektmethode, folgende Aspekte tragen zum Erfolg der ERP-Einführung bei:

  1. Klare Definition der Ziele und des Nutzens des ERP-Systems
  2. Enge Zusammenarbeit zwischen Kunde und Lösungsanbieter
  3. Offene und transparente Kommunikation
  4. Flexible Unternehmenskultur und gemeinames Lernen
  5. Erfahrene und kompetente Projektbeteiligte
  6. Sorgfältige Planung, Initiierung und Umsetzung